Cypher ist das System, bei dem man seinen Charakter mit einen Satz baut oder: Cypher verwendet die gleichnamigen Cypher, einzigartige Gegenstände mit besonderen Eigenschaften, die nur einmalig gebraucht werden können.
Genau! Als ich solche Dinge über dieses Spiel von Monte Cook gelesen habe, war ich genauso schlau wie zuvor. Wenn ich ein neues System kennenlernen möchte, schaue ich mir zuerst die Mechanik an: Wie funktionieren Herausforderungen, Tests oder Proben? Cypher ist ein W20-System, bei dem überwürfelt wird.
Schwierigkeitsgrade
Alle Herausforderungen werden vom Spielleiter (SL) in Schwierigkeitsgraden von 0 (automatischer Erfolg) bis 10 (praktisch unmöglich) eingeteilt. Anders als bei Dungeons & Dragons oder Pathfinder fügt man jedoch keine Modifikatoren zum Ergebnis des W20-Wurfs hinzu, sondern versucht, den Schwierigkeitsgrad (SG) zu senken.
Der Schwierigkeitsgrad wird mit drei multipliziert, was den Zielwert ergibt, den man mit dem Würfel erreichen muss. Ein SG von 0 bleibt also ein Zielwert von 0 – ein automatischer Erfolg. Ein SG von 10 ergibt einen Zielwert von 30 und ist daher ohne Hilfe unmöglich. Um den SG zu senken, kann der Spieler verschiedene Fähigkeiten einsetzen.
Versucht man beispielsweise, sich von einem Gegner wegzuschleichen und besitzt die Fähigkeit Schleichen, kann der SG von 5 auf 4 gesenkt werden. Der neue Zielwert ergibt sich dann aus der Multiplikation mit 3 (4 × 3 = 12). In diesem Fall wäre eine 12 oder höher ein Erfolg. Das war’s!
Alles dreht sich also darum, den SG zu senken, um einen möglichst niedrigen Zielwert zu erreichen. Das funktioniert über Fähigkeiten, Attribute und Hilfsmittel.
Attribute und Trefferpunkte
In Cypher gibt es drei Attribute: Kraft, Geschwindigkeit und Intellekt. Diese Werte sind vergleichbar mit den Attributen in anderen Systemen, jedoch stärker zusammengefasst. Jedem dieser Attribute ist ein Pool zugeordnet, dessen anfängliche Höhe sich aus der Charaktererschaffung ergibt. Der Startpool liegt häufig bei 10 Punkten.
Möchte man den SG senken, kann man eine sogenannte Anstrengung (Effort) unternehmen. Dafür werden Punkte aus dem Pool verbraucht, der zur jeweiligen Aufgabe passt. Versucht man z. B., eine Tür aufzustoßen, kann man 3 Punkte aus dem Kraft-Pool aufwenden. Auch bestimmte Aktionen oder Fähigkeiten kosten Punkte, um ausgeführt zu werden.
Wenn ein Gegner trifft, werden Punkte aus einem Pool abgezogen. Sinken alle drei Pools auf 0, ist der Charakter tot. Während einer Sitzung können die Pools jedoch wieder aufgefüllt werden und es gibt die Möglichkeiten, sie zu erweitern. Das führt bei Herausforderungen – nicht nur im Kampf – zu taktischen Überlegungen. Allerdings sind die Pools keine klassischen Treffer- oder Lebenspunkte, die man aufbewahren müsste oder sollte.
Ein weiterer erwähnenswerter Punkt: Der SL würfelt nicht. Er gibt lediglich den Schwierigkeitsgrad vor. Greift ein NSC an, würfelt der Spieler auf Verteidigung.
Initiative wird eher locker gehandhabt. Waffen haben einen festen Schadenswert, der durch spezielle Fähigkeiten erhöht werden kann. Fähigkeiten umfassen dabei alles von Klettern bis Bibliotheksnutzung und Robotermechaniker.
Charaktererschaffung mit einem Satz
Der Charakter wird mit einem einzigen Satz erstellt. Das klingt zwar fancy, ist aber eigentlich recht einfach. Der Satz besteht aus einem Adjektiv, einem Substantiv und einem Verb. Das erinnert ein wenig an den Deutschunterricht, funktioniert aber folgendermaßen:
„Ich bin ein ehrenhafter Schurke, der tut, was getan werden muss.“
- Adjektiv: Ehrenhaft (Deskriptor)
- Substantiv: Schurke (Archetyp)
- Verb/Phrase: der tut, was getan werden muss (Fokus)
Hat man das Regelwerk nicht zur Hand, liegt es am Spielleiter, den Satz sinnvoll in Spielwerte zu übersetzen. Denn hinter jedem Satzteil verbergen sich Fähigkeiten. Die englischen Begriffe hierfür sind Descriptor, Type und Focus.
Der Satz beschreibt, wie der Charakter gespielt wird und gibt nur indirekt die Stärken wieder. Zwei gleich beschriebene Charaktere können komplett unterschiedliche Werte haben. Der Archetyp „Schurke“ existiert überdies nicht direkt – im Grundregelwerk sind vier Archetypen: Krieger (Warrior), Adepten (Adept), Erkunder (Explorer) und Sprecher (Speaker) gelistet, die in verschiedenen Settings eigene Ausprägungen haben. Ein Schurke könnte z. B. ein Doppelagent im Kalten Krieg (Krieger) oder ein Weltraumschmuggler (Erkunder) sein – es hängt davon ab, welche Idee man für den Charakter hat.
Fazit
Persönlich mag ich das System sehr. Für Spielleiter ist es nahezu ein Selbstläufer, da die Vorbereitung für eine Session sehr gering ist. Monster, Fallen und andere Herausforderungen können spontan erschaffen werden. Zudem sind die Regelwerke äußerst gut strukturiert.
Leider ist es nicht immer einfach, Spieler zu finden. Das liegt möglicherweise daran, dass bisher nur Numenéra ins Deutsche übersetzt wurde und das System deshalb weniger bekannt ist. Einige der Settings sind außerdem eher speziell. Numenéra ist ein Science-Fantasy-Setting, Predation kombiniert Dinosaurier mit Technologie, und The Strange dreht sich um Dimensionsreisen. Mit Old Gods of Appalachia und Magnus Archives gibt es jedoch zwei eher klassische Horror Settings, die zudem auf beliebten Podcasts basieren. Wenn es eine neue deutsche Ausgabe eines Cypher Systems geben sollte, dann vermutlich eines dieser beiden.
Es gibt meines Wissens nach keine offiziellen Kampagnen. Der Stil erinnert an Play to Find Out, weshalb es in dieser Richtung wohl auch künftig wenig geben wird und eigene Geschichten gespielt werden. Die Build-em-up Philosophie unterstützt das Ganze.
Das System ist nach kurzer Zeit sehr eingängig. Der Fokus liegt auf Charakterspiel und Geschichte, weshalb es nicht besonders tödlich ist. Die Charaktere starten mit einer gewissen Erfahrung und nicht bei null. Eine Entwicklung ist trotzdem möglich: Über Erfahrungspunkte (EP) können sechs Stufen erreicht werden. Da EP jedoch auch genutzt werden, um Entscheidungen des Spielleiters zu ändern oder Verbesserungen zu kaufen, wird die Maximalstufe nicht allzu schnell erreicht.